Reisen auf Frachtschiffen und "DDG HANSA" - Bremen
  Fritz Hölscher - Blinder Passagier Hassan Molla - MS "Marienfels"
 
Die unglaubliche Odyssee des blinden Passagiers Hassan Molla


Dieser interessante, nicht ganz alltägliche Bericht der Odysse des blinden Passagiers HASSAN MOLLA erreichte mich von Fritz Hölscher, der damals als OA auf dem Hansaschiff fuhr. Dafür vielen Dank Fritz!!!


        
Aufzeichnungen "Blinder Passagier"
                  MS "Marienfels" 1962/63


Kapitän :      Albert Heinrichs / R. Rosa

I. Offz.:        Manfred Henkel / Johannes Weitkus

II. Offz.:       Johannes Weitkus (später I. Offz.) , Robert Scheibe

III. Offz.:     Werner Koch

Offz. Anw.:   Friedrich Hölscher

 

Blinder Passagier:   Hassan Yildiz bzw. Hassan Molla,                   Alter: Anfang 20

Auf der Reise vom Persischen Golf nach den U.S.A. Ostküste lief die „Marienfels“ im Mittelmeer den türkischen Hafen von Izmir an. Es war etwa im Juni /Juli 1962. Nach Abschluss der Ladungs­arbeiten lief da Schiff gegen Mitternacht aus. Am nächsten Morgen auf See, auf der 4 – 8 Wache, meldete der Leichtmatrose Neffgen gegen 06.00 Uhr dem I.O. Henkel auf der Brücke, dass unten an Deck jemand stehe, den er nicht kenne. Der Leichtmatrose brachte die unbekannte Person auf die Brücke. Dort überreichte der Unbekannte dem I.O. einen Zettel mit der sinngemäßen Information in deutscher Sprache „Türkei nix gut, nix gut Arbeit, ich Deutschland, ich arbeiten und  Geld verdienen“. Außer­dem war er im Besitz eines Dokumentes mit Passbild und offiziellen Stempeln, das besagte, dass sein Name Hassan Yildiz sei und in Izmir ausgestellt war. Ein weiteres undefinierbares Stück Papier mit einem Stempel zeigte den Namen Hassan Molla. Da er kein Wort Englisch, Deutsch oder eine andere der Besatzung bekannten Sprachen beherrschte, war eine mündliche Kommunikation mit dem Blinden Passagier unmöglich. Auch schriftlich ließ sich keine Verständigung herstellen, da niemand über ein Türkisch – Deutsch (oder Englisch) Wörterbuch verfügte, und die wenigen Begriffe aus dem Seehand­buch halfen uns auch nicht weiter.Der Kapitän wurde geweckt, und nach seinem Erscheinen auf der Brücke und dem Erfassen der Situation erlitt er einen heftigen (untertrieben!) Zornesausbruch und tätlichen Wutanfall. Die Gegebenheiten wurden per Funkspruch an die „Hansa“ gegeben, und auf Grund der Sachlage wurde entschieden, den Blinden Passagier bis zum nächsten Hafen, Genua, mitzunehmen. Dort sollte der Blinde den Behörden, bzw. dem türkischen Konsul übergeben werden. Um dem Blinden Passagier ein nochmaliges Einsteigen auf einem anderen Schiff zu vermiesen, wurde er während der Überfahrt nach Genua im hinteren Deckshaus eingesperrt. Er musste dort auf gelabsalbten Drähten, Schwergutschäkeln und sonstiger Decksausrüstung seine Zeit verbringen. Er erhielt nur Wasser und Brot zur Nahrungsaufnahme und wurde mehrmals täglich zur Toilette geführt. Verantwortlich für alles, was den Blinden betraf, war der O.A. (wer auch sonst?). Der O.A. war natürlich auch dafür verantwortlich, dass der Einschleicher überhaupt an Bord gekommen war und vor Auslaufen nicht entdeckt worden war. Der O.A. hatte es versäumt, das Schiff zu durchsuchen. (Der Blinde war mit den Hafenarbeitern an Bord gekommen und hatte sich auf dem Bootsdeck in der Nähe des Schornsteines zwischen leeren Ölfässern versteckt. Nachdem der Blinde Passagier vom Alten entsprechend verarztet war, bekam natürlich auch der O.A. sein Fett weg.In Genua wurden die Behörden über das Vorhandensein eines Einschleichers informiert, und der Konsul der Türkei wurde an Bord gebeten. Der Blinde Passagier wurde dem Konsul vorgestellt, und dem Konsul wurden die vorgefundenen Dokumente überreicht. Der teilte der Schiffsleitung lapidar mit, dass es sich bei dem Dokument um eine Identitätskarte und nicht um einen Pass handelte. Außerdem sei in der Identitätskarte als Nationalität „Grieche“ angegeben und er als türkischer Konsul könnte uns in diesem Falle leider nicht helfen. Nach Rücksprache mit der „Hansa“, wurde entschieden, den Blinden Passagier in Marseille dem griechischen Konsul vorzustellen, da in Genua nicht genügend Zeit verblieb. Also kam in Marseille der griechische Konsul an Bord. Ihm wurden die Unterlagen vorgelegt und der Blinde Passagier vorgestellt. Der Konsul informierte die Schiffsleitung umgehend, dass es sich bei dem Einschleicher um keinen Griechen handelte, da dieser nicht einmal die griechische Sprache beherrsche. Das „Dokument“ ohne Lichtbild bestätige nur, dass ein Hassan Molla an einem bestimmten Tag in Griechenland (Nordosten) geboren wurde. Da die „Marienfels“ von Marseille nach den U.S.A. versegeln sollte, und die Probleme bekannt waren, die  uns die Einwanderungsbehörde mit einem Blinden Passagier  an Bord bereiten würde, wurden alle möglichen Hebel in Bewegung gesetzt, um den Einschleicher vor der Weiterreise den Behörden zur Zurücksendung in die Türkei übergeben zu können. Das gelang nicht während des fahrplanmäßigen Aufenthalts, und das Schiff verblieb weitere drei Tage im Hafen, ohne das eine Lösung des Problems gefunden wurde. Der Blinde musste also an Bord verbleiben, und wir mussten ihn mit in die Staaten nehmen.Für den weiteren Verlauf der Reise konnte der Blinde Passagier nicht mehr im Decks-Store untergebracht bleiben. Er wurde deshalb in den Tallymen-Raum im vorderen Deckshaus einquartiert. Dort standen ihm Tisch, Stuhl und Bett zur Verfügung. Für Verpflegung und Unterkunft musste er nun auch arbeiten. Er wurde von morgens um 6 Uhr bis abends um 6 Uhr an Deck eingesetzt. Natürlich bekam er die unbeliebtesten Arbeiten zugewiesen – Rostklopfen, Drähte labsalben, Toiletten reinigen, usw. Ansonsten konnte er sich auf See an Bord frei bewegen, nahm seine Mahlzeiten in der Mannschaftsmesse ein, konnte die Mannschaftsduschen und Toiletten benutzen. Von Auslaufen Marseille an war abzusehen, dass er für einen längeren Zeitraum an Bord zu verbleiben hatte, und er gehörte irgendwie mit zur Bordgemeinschaft. Deshalb nenne ich ihn ab jetzt auch Hassan. Hassan entpuppte sich als fleißiger, gelehrsamer und williger Mitarbeiter. Er erledigte alle ihm übertragenen Jobs zur Zufriedenheit des Bootsmanns, unter dessen Aufsicht er tagsüber stand. Da eine sprachliche Kommunikation nicht stattfinden konnte, mussten ihm die übertragenen Aufgaben gezeigt und demonstriert werden. Er arbeitet ohne Unterlass und zeigte bald, dass er die ihm übertragenen Arbeiten auch selbständig erledigen konnte. Ein Moses hätte es während seiner ersten Reise auch nicht besser gemacht.Sein Wille, die neue Sprache zu erlernen, zeigte sich schon nach wenigen Tagen, und sein erstes deutsches Wort, dass er nachsprach, war natürlich das Wort „Scheiße“. Obwohl jeden Tag neue Wörter hinzukamen, war eine Verständigung mit ihm für lange Zeit nicht möglich. An Zeug besaß er nur das, was er auf dem Leibe trug - eine Hose, ein Hemd, einen dünnen Pullover, Socken und Schuhe. Da diese Sachen natürlich nach einigen Tagen verschmutzt waren, versorgte die Besatzung ihn mit Arbeitszeug und Leibwäsche. Zum Ausgleich für die erhaltenen Sachen hat Hassan dann für die Decksbesatzung Zeugwäsche gemacht. Die Besatzung spendierte ihm daraufhin auch Zigaretten und hin und wieder eine Flasche Bier. Hassan hat sich schon während der Überfahrt von Marseille nach New York sehr gut integriert.Beim Einlaufen in New York kamen natürlich die erwarteten Probleme mit der Immigration auf uns zu. Ausfüllen von extra Formblättern, Fingerabdrücke, Fotos aus allen Richtungen, 1000 Fragen, die wir nicht beantworten konnten, da wir mit Hassan nicht kommunizieren konnten – die Immigration auch nicht. Nach der endlos dauernden Einklarierung bekam das Schiff die Auflage, den Einschleicher ständig unter Verschluß zu halten. Ein Entweichen hätte immense Kosten und Strafen zur Folge gehabt. Für die Befolgung dieser Auflage wurde schiffsseitig natürlich der O.A. verantwortlich gemacht.Hassan wurde also im Hafen ständig im Deckshaus eingeschlossen. Rechtzeitig vor den Mahlzeiten wurde er vom O.A. in den Waschraum geführt um seine hygienischen Bedürfnisse befriedigen zu können. Danach konnte er die Mahlzeiten in der Mannschaftsmesse einnehmen und wurde anschließend wieder eingeschlossen. Der Aufenthalt in den U.S.A war deshalb keinesfalls angenehm für den Blinden Passagier. Die Behörden eines jeden Hafens, den wir angelaufen haben, informierten natürlich den folgenden Hafen über das Vorhandensein eines Einschleichers. Das wurde dann auch entsprechend kontrolliert.Der O.A. war irgendwie überzeugt, dass Hassan in den Staaten nicht verschwinden würde und überwachte ihn persönlich nicht ständig beim Duschen und Essen. Er führte Hassan zur Dusche und holte ihn nach der Mahlzeit aus der Mannschaftsmesse wieder ab, um ihn dann wieder einzuschließen. Es war wahrscheinlich in Houston, dass die Immigration an Bord kam und den Blinden Passagier kontrollieren wollte. Sie fanden Hassan ohne Aufsicht unter der Dusche!! Das gab natürlich einen Heiden-Aufstand und eine Strafe von $ 1.000. Was der O.A. vom Kapitän zu hören bekam, kann man sich sicher vorstellen. Hassan befand sich also noch häufiger unter der direkten Aufsicht des O.As. Die sprachliche Verständigung verbesserte sich dabei ständig. Nach Monaten konnten folgende Informationen aus ihm herausgeholt werden:

-          Hassan wurde in einem kleinen Bergdorf im Nord-Osten Griechenlands geboren. (Ein Gebiet, das um 1920 von der Türkei an Griechenland abgetreten wurde. Man sprach dort nur türkisch) Das nächste Amt, wo seine Geburt registriert wurde, lag einige Tagesreisen von seinem Geburtsort entfernt.

-          Als Jugendlicher ging er in die Türkei, um Geld zu verdienen. In seiner Heimat gab es nur ärmliche Landwirtschaft.

-          In der Türkei arbeitete er unter anderem bei einem Bäcker und zwar als O.A. Das heißt, er hat dort wahrscheinlich die schriftlichen Arbeiten und die Buchführung erledigt. Bei der Befragung durch den O.A., was er in der Türkei gemacht hätte, sagte er: „Ich Bäcker O.A.“ Weil der O.A. auf den Hansa-Schiffen die Abrechnung und schriftliche Arbeiten erledigte. Und das hatte er auch beim Bäcker gemacht.

-          In Izmir hatte er von den guten Gegebenheiten in Deutschland Geld zu verdienen gehört und den Entschluss gefasst, als Blinder Passagier mit einem Schiff nach Deutschland zu gelangen. Mit einem Wörterbuch Türkisch – Deutsch hat er dann den Text für den Zettel, den er der Schiffsleitung übergeben hatte, entworfen.

Während des Aufenthaltes in den Staaten und während der Überfahrt nach Port Said verlief alles wie oben schon geschildert. Er verrichtete die ihm übertragenen Arbeiten ohne Murren und gut, war stets verträglich und freundlich, verbesserte täglich sein Deutsch – was aber immer noch sehr gebrochen war. Eine gute Verständigung war immer noch nicht möglich. Aber er hat sich gut dem Bordleben angepasst.Um die ständigen Querelen mit den Behörden zu vermeiden, wurde Hassan ab Port Said und im Persischen Golf nicht mehr als Blinder Passagier angemeldet. Er wurde einfach verschwie­gen. Probleme hat es damit nicht gegeben. Um eine zufällige Entdeckung zu vermeiden, durfte Hassan in keinem Hafen an Land und hatte sich irgendwelchen Leuten von Land gegenüber immer zurückhaltend zu verhalten. Beim Eintreffen des Schiffes am Nord-Kontinent wurde Hassan den Behörden wieder als Blinder Passagier gemeldet. In Rotterdam nahm ihn die Immigration für die Zeit des Schiffes im Hafen mit an Land und sperrte ihn im Gefängnis ein, um ein Entweichen zu verhindern. Kurz vor Auslaufen des Schiffes wurde er dann wieder an Bord abgeliefert. In den deutschen Häfen Hamburg und Bremen durfte er an Bord verbleiben. Die Schiffsführung war für das Verbleiben des Einschleichers an Bord voll verantwortlich. Im Falle eines Entweichens hätte das Schiff bzw. die Reederei die Suchaktion und alle Kosten für das Wieder-an-Bord-Bringen aufkommen müssen. An Bord wurde also dem O.A. wieder die volle Verantwortung übertragen. Da es Hassans Absicht war, nach Deutschland zu gelangen, mussten also in Hamburg und Bremen besondere Maßnahmen ergriffen werden, um ein Entweichen unmöglich zu machen. Tagsüber war er der ständige Begleiter des O.As., der ihn nicht aus den Augen ließ. Innerhalb jeder Schicht kamen Beamte der Wasserschutzpolizei und kontrollierten, ob der Blinde Passagier noch an Bord war. Nachts wurde Hassan wieder im Deckshaus eingeschlossen. Die Bulleyes wurden mit einer Törnstange angeknallt, um ein Entweichen durch das Bulleye zu vermeiden. Am nächsten Morgen war das Bulleye aber geöffnet, doch Hassan war nicht geflohen. Da keinerlei Werkzeug oder sonstige Gegenstände im Deckshaus vorhanden waren, mit denen er das Bulleye hätte öffnen können, blieb es allen unverständlich, wie er das vollbracht hat.


Es musste also eine andere Maßnahme getroffen werden, die auf jeden Fall sicherstellte, dass Hassan an Bord blieb. Die Schiffsleitung entschloss sich zu der drastischen Maßnahme, Hassan Handschellen anzulegen. Da wir ihm nicht beide Hände auf den Rücken fesseln wollten, wurde eine Hand mit der Handschelle an einen festeingebauten, metallenen Bettpfosten gefesselt und das Bulleye wieder, wie oben geschildert, verschlossen. Am nächsten Morgen lagen die gelösten Handschellen unbeschädigt auf dem Tisch, das Bulleye war wieder geöffnet, und Hassan saß lachend auf dem Stuhl. Wie er das geschafft hat, blieb uns allen unerklärlich. Für die restliche Zeit in Deutschland hat der Storekeeper dann zwei Stäbe vor das Bulleye geschweißt und an der Tür außen einen schweren Riegel angebracht. Das war für Hassan sicher nicht angenehm, aber immer noch besser als ein geschlossenes Bulleye und Handschellen.Der Kapitän wurde abgelöst. Es waren während der Europa-Zeit nur Vertretungs-Kapitäne und Vertretungs-Offiziere an Bord. Der O.A. war in Urlaub. Es war also niemand an Bord, der sich ernsthaft um die Zukunft des Blinden Passagiers Gedanken machte. Als der O.A. in Bremen wieder an Bord kam, wurde mit der „Hansa“ gesprochen und ein Gespräch mit dem griechischen Konsul in Hamburg vereinbart. Kapt. Lessing und der O.A. fuhren also mit Hassan nach Hamburg zum griechischen Konsulat, um eine Lösung für den Blinden Passagier zu finden. Kapt. Lessing schilderte dem Konsul die Lage, und  der Konsul wollte Hassan befragen. Das erwies sich aber als unmöglich, da Hassan kein Griechisch sprach. Also übernahm der O.A. die Funktion als Dolmetscher. Auf Grund des ständigen Zusammenseins mit Hassan konnte er sich einigermaßen, obwohl mit Schwierigkeiten, auf Deutsch verstän­digen. Die Antworten wurden dann in verständlichem Deutsch an den Konsul weiter­gegeben.Der Konsul hat alle Fakten aufgenommen und zugesagt, dass er alles an die griechischen Behörden weiterleiten würde. Der Name, die Geburtsdaten, usw. müssten in Griechenland überprüft werden. Da der Geburtsort aber weitab von jeglichem öffentlichen Amt lag, würden die Nachforschungen wohl etliche Monate in Anspruch nehmen. Deshalb sollte Hassan für eine weitere Reise an Bord verbleiben, und eventuell könnte nach der nächsten Reise eine Antwort aus Griechenland vorliegen. Hassan blieb also an Bord. Alles verlief ähnlich wie oben schon geschildert. Ab Port Said und im Persischen Golf wurde Hassan den Behörden nicht gemeldet. Hassan verrichtete seine Decksarbeiten zu Zufriedenheit der Schiffsleitung und mit der Besatzung hatte er ein kame­rad­­­­­schaftliches Verhältnis. Seine Leistungen wurden vom neuen Kapitän Rosa anerkannt und gewürdigt. Kapt. Rosa setzte sich bei der „Hansa“ dafür ein, dass ihm eine Leichtmatrosen­heuer gezahlt wurde. Die entsprechende Arbeitsleistung erbrachte Hassan auch dafür. Nur für die Kosten, die er der Reederei verursachte, konnte er natürlich niemals aufkommen. Die „Hansa“ hat der Zahlung einer Heuer zugestimmt. Außerdem erhielt in den Tropen (von Port Said bis Port Said) den üblichen „Hansa-Backschisch“, täglich eine Flasche Cola, Sinalco oder Wasser.Für Hassan war das Leben an Bord ziemlich eintönig. Sicher saß er mit der Besatzung zusammen und wurde zum Bier eingeladen, aber er hatte selbst keine Möglichkeit mal einen auszugeben. Neuigkeiten, was in der Welt geschah, hatte er seit Monaten nicht erhalten. So brachten ihm Besatzungsmitglieder von Land türkische Zeitungen mit, dass er sich mal wieder über das Weltgeschehen informieren konnte. Weihnachten 1962 wurde für ihn gesammelt. Es kamen etwa 250.- DM zusammen. Dies zeigte auch, dass er bei allen Besatzungsmitgliedern sehr beliebt war. Als ihm das Geld, eine Stange Zigaretten und eine Kiste Bier während der Weihnachtsfeier vom Kapitän überreicht wurde, standen ihm die Tränen in den Augen. Jetzt konnte auch er mal seinen Kollegen ein Bier ausgeben und war nicht immer nur auf Spenden angewiesen. Für einen Teil des Geldes hat er sich in Kuwait ein Transistorradio gekauft. So konnte er nach langer Zeit wieder türkische Nachrichten hören.Die Reise verlief ohne weitere erwähnenswerte Vorkommnisse. Nur in Rotterdam hatte er noch ein kleines Erlebnis im Knast. Er wurde wie üblich von der Wasserschutzpolizei mit an Land genommen und verbrachte die Liegezeit des Schiffes in der Zelle. Als er kurz vor Aus­laufen wieder an Bord gebracht wurde, konnte er kaum erwarten, dem O.A. zu berichten, was er im Knast erlebt hatte. „Ich N..... im Knast gesehen.“ Was war geschehen. Der Leichtmatrose N.... war in Rotterdam an Land gegangen und hatte nach dem Genuss von etlichen Bieren keine rechte Lust zu Fuß zurück zum Schiff zu laufen. Er „nahm“ sich deshalb ein am Wege stehendes „Brummfitz“ und wollte damit zum Hafen fahren. Er kam aber nicht weit, wurde von der Polizei erwischt und für eine Nacht in den Knast gesteckt. Dort traf ihn dann unser Hassan. Als das Schiff wieder nach Deutschland kam, wurde wieder Kontakt mit dem griechischen Konsulat aufgenommen. Das Ergebnis war negativ und für Hassan sogar niederschmetternd. Keine Antwort aus Griechenland. Hassan musste also an Bord verbleiben und die Aufsicht musste verschärft werden, da die Vermutung bestand, dass Hassan alles daran setzen würde, in Deutschland an Land zu kommen. Das war ja sein Ziel und die Enttäuschung durch die Behörden groß. Er verblieb in der Obhut des O.As., bis dieser in Bremen abmusterte. Von der abmusternden Besatzung erhielt Hassan noch guterhaltene Kleidungstücke, Geldbeträge und vor allen Dingen die besten Wünsche für seine Zukunft. Der Autor (O.A.) musterte in Bremen ab und kennt den folgenden Sachverhalt nur vom Hörensagen. Hassan musste also für eine weitere Reise zum Persischen Golf an Bord verbleiben. Im Persischen Golf erhielt die Schiffsleitung die Information, dass das Schiff vom Golf wieder eine Staaten Reise antreten sollte. Da man vermeiden wollte, dass das Schiff nochmals mit einem Blinden Passagier in den U.S.A. ankommen würde, wurde beschlossen, Hassan im Roten Meer auf ein heimgehendes Hansa-Schiff überzusetzen. (Der Name des Schiffes ist mir nicht bekannt) Auf diesem Schiff bekam er nach über einem Jahr das erste Mal die Erlaubnis illegal an Land zu gehen. Das war in Assab oder Massaua. Leider blieb für ihn dort das erste Zusammentreffen mit dem weiblichen Geschlecht nicht ohne Folgen. Bei der Rückkehr des Schiffes nach Deutschland waren die Angelegenheiten mit dem Kon­sulat noch immer nicht geregelt. Die „Hansa“ konnte aber bei den Behörden durchsetzen, das er das Schiff verlassen konnte und an Land auf eine endgültige Regelung seiner Staatsange­hörig­keit warten konnte. Er verblieb für etliche Monate auf der „Ali Baba“ (Wohnschiff de DDG HANSA) und wurde dort für die üblichen Arbeiten, wie Proviantstauen auf den Hansa-Schiffen, eingesetzt. Die letzte Information, die ich nach etlichen Monaten von Hassan erhielt, war eine Postkarte, auf der er mir mitteilte, dass er innerhalb einer Woche per Eisenbahn nach Griechenland ausreisen müsste, um dort beim Militär seine griechische Staatsanghörigkeit wieder aufzu­frischen. Danach habe ich kein Lebenszeichen mehr von ihm erhalten. Obwohl ich sehr daran interessiert war und noch bin, zu erfahren, was aus ihm und seiner Odyssee endgültig geworden ist.Falls Hassan während seiner Zeit auf den Hansa-Schiffen seine Dokumente geregelt bekom­men hätte, währe er bestimmt ein guter Seemann bei der „Hansa“ oder ein willkommener Gastarbeiter in Deutschland geworden. Sein Fleiß und Integrationswille waren vorbildlich, was man bei den heutigen Zuwanderern leider zu oft vermissen muss.



Auf der nächsten Unterseite geht es weiter

 

 

 






Kommentare zu dieser Seite:
Kommentar von Klaus Merkle( Kl.Merklet-online.de ), 04.02.2015 um 11:47 (UTC):
Hallo, war 65 /66 auf der Marienfels.Nun Rentner und Zeitungsverleger.Möchte diesen Bericht gern in unser Zeitschrift übernehmen wollen.

Kommentar von Hans-Jörg Hoffmann( hans-joerg.hoffmannewetel.net ), 03.07.2013 um 10:45 (UTC):
Hallo und Moin aus Nordenham
Hassan und seine Geschichte ist mir sehr bekannt, weil ich ab März 1963 bis Juni auf der Marienfels als Jungmann eine Indien Reise gemacht habe.
0-4 Wache mit R. Scheibe und als Kapt. Rosa.
Gruß aus dem Norden



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